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Sich auf die Geburt vorbereiten: Das sollten auch die Männer. Frauenarzt Prof. Dr. Sven Hildebrandt weiß, worauf es dabei ankommt. Er ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Professor an der Hochschule Fulda. Er ist zudem Präsident der Dresdner Akademie für individuelle Geburtsbegleitung. Im Interview spricht er über das beglückende Ereignis der Geburt, spezielle Vorbereitungskurse für werdende Väter, aber auch die möglichen Geburts-Traumata bei Männern.

Herr Professor Hildebrandt, meine Aufgabe bei der Geburt bestand immer darin, meine Frau möglichst in Ruhe zu lassen …

Sven Hildebrandt: So etwas höre ich öfter. Im Grunde entspricht das auch unserer Natur. Der Mensch gehört wie Affen zu der Ordnung der Primaten. Und die gebären nicht mit einem Mann als Begleiter, sondern suchen sich ein geburtserfahrenes Weibchen. Die Geburt ist ein urweiblicher Vorgang.

Coronabedingt war meine Frau bei der letzten Geburt sogar allein.

Hildebrandt: Dass der Vater bei der Geburt dabei ist, fing erst in den späten 1970ern an. Und dies war der Wunsch der Männer und Familien – und nicht etwa der Ärzte oder Hebammen. Als ich 1985 in der Geburtshilfe anfing, haben wir Väter noch wie Fremdkörper behandelt. Die waren in Schutzkleidung eingepackt wie das Personal im Corona-Testzentrum, während ich im normalen T-Shirt danebenstand. Sehr skurril.

Prof. Dr. Sven Hildebrandt, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Professor an der Hochschule Fulda.

Prof. Dr. Sven Hildebrandt, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Professor an der Hochschule Fulda.

Ist es nicht wichtig, dass der Vater bei der ­Geburt dabei ist? Es entspricht doch seiner veränderten Rolle insgesamt.

Hildebrandt: Absolut! Eine Geburt kann für einen Mann auch ein sehr beglückendes Ereignis sein. Sie kann stärkend für die Partnerschaft sein, belebend für die Liebe und für die Sexualität. Ich sage immer, dass eine Frau bei der Geburt zur Königin wird; sie verändert sich, sie ist hinterher nicht mehr dieselbe. Ich halte es für wichtig, dass der Mann diese Verwandlung miterlebt. Er sieht, wie die Partnerin wächst, wie sie blüht. Das ist ein großartiger Prozess, der eine unglaubliche Wirkung auf seine Liebe, auf seine Zuwendung zu seiner Frau haben kann.

Kommt da jetzt ein Aber?

Hildebrandt: Es ist gleichzeitig ein dünnes Eis. Das Erleben kann schnell kippen und der Vater kann Erfahrungen sammeln, die seine Männlichkeit und Sexualität noch über Jahrzehnte negativ prägen. Deshalb setze ich mich auch so dafür ein, dass Männer vernünftig auf diese Situation vorbereitet werden, für die sie nicht gemacht sind. Doch leider existieren bisher kaum männerspezifische Angebote zur Geburtsvorbereitung.

Was verstehen Sie denn unter männerspezifischer Vorbereitung?

Hildebrandt: Heute Abend findet bei mir in der Praxis zum Beispiel ein Vaterabend statt. Erster Punkt: Es sind nur Männer ­anwesend. Zweiter Punkt: Die Vorbe­reitung macht mit mir ein Mann, der selbst Vater und noch dazu Arzt ist. Für Männer ist diese ärztliche Autorität nicht unwichtig.

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Warum ist es so wichtig, dass die Männer dabei unter sich sind?

Hildebrandt: Weil andere Themen besprochen oder die gleichen Themen anders besprochen werden. Allein die Frage, ob sie bei der Geburt wirklich dabei sein wollen – mit Partnerin an der Seite schwierig. Oder ob die Scheidenwände nach der Dehnung bei der Geburt wieder normal eng aneinanderliegen – unter Männern einfacher. Genauso wichtig ist mir aber, mit den Männern über die Zeit nach der Geburt zu sprechen – übrigens auch mit denen, die sie gar nicht miterleben wollen. Unsere Position im System Familie ändert sich danach ja gravierend.

Inwiefern?

Hildebrandt: Ist noch kein Kind da, ist der Mann der Mittelpunkt des Interesses. Mit der Geburt steht plötzlich das Kind vorne – und zwar mit riesigem Abstand. Der Mann muss eine neue Rolle finden. Die ist nicht schlechter, aber sie ist völlig anders. Viele Männer verstehen das als Zurücksetzung. Das kann man auch nachvollziehen, weil sie für die Frau erst mal weniger wichtig geworden sind. Doch was sie bei ihr verlieren, gewinnen sie beim Kind. Sie werden Papa, der größte Held, den es gibt!

Worüber sprechen Sie noch mit den Vätern?

Hildebrandt: Auch über banale Dinge wie den Essensvorrat oder die Musikwahl. Dass sie im Vorfeld mal eine Fahrt zur Klinik machen und sich dabei vorstellen sollen, es ist Berufsverkehr und sie haben neben sich eine schreiende Frau. Und natürlich informiere ich auch über die Phasen der Geburt, ganz besonders über den Übergang zwischen Eröffnungs- und Austreibungsphase. Den sehe ich als heikelsten Moment der Geburt an: Die Frauen sind erschöpft, alles tut bereits weh, manche wollen sterben, andere nach Hause gehen. Das kann traumatisch sein für Väter, darauf müssen sie vorbereitet sein.

Sie werden Papa, der größte Held, den es gibt!

Was ist eigentlich bekannt über Geburts-Traumata bei Vätern?

Hildebrandt: Zu wenig. Es gibt so gut wie keine systematische Forschung. Klar ist aber, dass die Natur Frauen biologisch auf die Geburt vorbereitet hat, bis hin zu den hormonellen Vorgängen, die etwa bewirken, dass sie hinterher die Geburtsschmerzen praktisch vergessen können.

Wie zeigen sich diese Traumata bei Männern?

Hildebrandt: Gehen dem Mann immer wieder Szenen durch den Kopf, will sich keine sexuelle Lust mehr einstellen, fehlt es an Antriebskraft und sind da ständig trübe Gedanken, sind das Anzeichen für ein Trauma. Ich halte es deshalb für wichtig, dass Hebammen Väter in die Nachsorge einbeziehen, fragen, wie es ihnen geht, wie sie die Geburt erlebt haben und ob es etwas gibt, das ihnen nachhängt. Die Zeit des Wochenbetts bespreche ich mit den Männern aber auch noch aus einem anderen Grund, nämlich der Sexualität.

Warum ist das wichtig?

Hildebrandt: Weil sie sich verändert, sobald Paare Eltern werden. Hier kommt die Biologie durch: Das Hormon Prolaktin, das ausgeschüttet wird, solange die Frau stillt, senkt – nicht immer, aber oft – die Libido der Frau. Der Mann hingegen – das ist seine Biologie – tickt ganz normal weiter. Das führt oft zu Problemen.

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