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Warum wird derzeit viel über Streptokokken-Infektionen in Japan berichtet?

Die Meldungen klingen beunruhigend: In den ersten zwei Monaten des Jahres 2024 sollen in Japan insgesamt 378 Fälle des Streptokokken-induzierten toxischen Schock-Syndroms (STSS) registriert worden sein. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 waren es insgesamt 941 Infektionen.

In 45 der insgesamt 47 japanischen Amtsbezirken soll es mittlerweile bestätigte Fälle von STSS geben. Die zweitgrößte japanische Zeitung „Asahi Shimbun“ schreibt, dass vor allem jüngere Menschen gefährdet seien: Von den 65 Personen unter 50 Jahren, bei denen zwischen Juli und Dezember 2023 ein STSS diagnostiziert wurde, starben 21 – etwa ein Drittel. Gesundheitsexperten befürchten, dass sich die Krankheit weiter ausbreiten könnte.

Was ist das Streptokokken-induzierte Schock-Syndrom?

Das Streptokokken-induzierte toxische Schock-Syndrom (STSS) ist eine seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation der Streptokokken-Infektion. Meist wird sie durch Bakterien der Gruppe „Streptococcus pyogenes“ – oder A-Streptokokken – ausgelöst. Diese Bakterien bewirken im Körper nicht nur eine übermäßig starke Immunreaktion, bei der körpereigene Zellen getötet werden, die infiziert sind. Die Bakterien entfalten außerdem eine toxische, also giftige Wirkung. Bekannt wurde das Schock-Syndrom auch unter dem Namen „Tamponkrankheit“. Der blutgetränkte Tampon in feuchtwarmem Milleu bietet für die Bakterien gute Voraussetzungen, um sich zu vermehren. Gefährlich wird es, wenn diese Bakterien, dann Giftstoffe absondern und diese im Blutkreislauf landen.

Die Folge: Ein Kreislaufschock kann entstehen und bis zu einem Versagen lebenswichtiger Organe führen. „Es kommt zu einer massiven Aktivierung des Immunsystems, einem sogenannten Zytokinsturm. Letztendlich werden Organe wie Niere, Leber, Herz und Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet“, erklärt Prof. Dr. Siegbert Rieg, Leiter der Abteilung Infektiologie der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg. „Dann erkranken die Patientinnen und Patienten in kürzester Zeit sehr schwer. Typische Symptome sind Muskelkrämpfe, Fieber, ein niedriger Blutdruck, Übelkeit oder Erbrechen. Im schlimmsten Fall kommt es zum Multiorganversagen.“ So bezeichnet man den gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Ausfall mehrerer wichtiger Organe.

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) verlaufen etwa 30 Prozent der STSS-Fälle tödlich. Warum dieses Syndrom in Japan derzeit gehäuft auftritt, weiß man noch nicht genau. „Wahrscheinlich ist es so, dass unser Immunsystem sich durch die Covid-Pandemie und Social Distancing, Masken und verstärkte Hygiene-Maßnahmen über die vergangenen drei, vier Jahre weniger mit Streptokokken auseinandersetzen musste und deshalb etwas anfälliger ist“, sagt Prof. Rieg.

Was für Erreger sind Streptokokken?

Streptokokken sind unbewegliche kugelförmige Bakterien, die sich in Ketten oder in Paaren anordnen und zum natürlichen Mikrobiom des Menschen gehören. Sie besiedeln Haut- und Schleimhäute, den Darm, Mund- und Rachenraum. Meist sind diese Bakterien vollkommen harmlos und werden nicht einmal bemerkt.

Allerdings können Streptokokken auch krank machen. Medizinisch relevant sind vor allem die sogenannten A-Streptokokken. Sie können unter anderem Infektionen der oberen Atemwege auslösen – wie Nasennebenhöhlen-, Rachen- und Mandelentzündungen oder die Kinderkrankheit Scharlach. „A-Streptokokken können aber auch durch entzündliche Hautstellen in den Körper eindringen“, sagt Prof. Rieg. „Und manchmal lässt sich ihre Eintrittspforte auch nicht nachvollziehen.“ Fest steht: Das gefürchtete Streptokokken-induzierte toxische Schock-Syndrom wird überwiegend von Bakterien der Gruppe A ausgelöst.

Wie schnell breitet sich der Erreger aus und was bedeutet das?

Streptokokken können per Tröpfcheninfektion oder direkten Hautkontakt übertragen werden, beispielsweise über offene Wunden. Laut RKI kann sich das Bakterium in einer unbelebten Umgebung nicht vermehren, es kann aber auf trockenen Oberflächen in Schleim- oder Blutresten bis zu mehreren Monaten überleben und infektiös bleiben.

Um sich zu schützen, sollte man einfache Hygienemaßnahmen anwenden, wie man sie bereits aus der Corona-Pandemie kennt – wie häufiges und gründliches Händewaschen. Zeigen sich Symptome einer Streptokokken-Infektion, sollte unmittelbar mit einer Antibiotika-Therapie begonnen werden. „Man behandelt Streptokokken mit Penicillin“, sagt Prof. Rieg. „Bei den schweren Formen gibt man zusätzlich noch ein zweites Antibiotikum – und in besonders schweren Fällen intravenös Immunglobuline, um die Entzündung herunter zu regulieren.“

Das sind Infektionen, Erreger und Komplikationen, die wir so seit vielen Jahren kennen. Das ist kein neues Phänomen.

Was bedeutet das für uns in Deutschland?

„Nach meiner Einschätzung machen die Japaner das durch, was wir im letzten Winter erlebt haben: einen beachtlichen Gipfel an Streptococcus pyogenes-Infektionen in allen Altersgruppen. Gegen einen Ausbruch mit einem besonderen Epidemiestamm spricht, dass die Infektionen zeitgleich in ganz Japan auftauchen“, sagt Prof. Dr. Andreas Podbielski, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene an der Universitätsmedizin Rostock. „Das jetzige Geschehen hat bei den Kindern als typischerweise infizierte Personen angefangen, dann folgten die Erwachsenen mit Kontakt zu Kindern und anschließend alle anderen Erwachsenen. Und wenn es viele Streptococcus pyogenes-Infektionen gibt, steigt natürlich auch die Zahl der dramatisch verlaufenden.“ Eine Einschätzung, die auch Prof. Rieg bestätigt: „Wenn ich mich mit Kolleginnen oder Kollegen aus der klinischen Infektionsmedizin unterhalte, sind wie uns einig, dass wir in den vergangenen Monaten häufiger mit schweren A-Streptokokken Infektionen zu tun hatten. Leider können wir das nicht durch sauber formulierte Daten stützen.“

Laut RKI sind Gruppe-A-Streptokokken-Infektionen in Deutschland derzeit gemäß Infektionsschutzgesetz nicht meldepflichtig. „Aber wohlgemerkt: Das sind Infektionen, Erreger und Komplikationen, die wir so seit vielen Jahren kennen. Das ist kein neues Phänomen.“


Quellen:

  • RKI: Streptococcus pyogenes-Infektionen. Online: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 18.03.2024)
  • THE ASAHI SHIMBUN: ‘Flesh-eating’ bacterium cases hit record high in Japan in 2023 . Online: https://www.asahi.com/... (Abgerufen am 18.03.2024)
  • Schalen C., Jasir A.; : Strep-EURO: progress in analysis and research into severe streptococcal disease in Europe. Online: https://www.eurosurveillance.org/... (Abgerufen am 18.03.2024)